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Jahrzehntelang wurden Städte für den Autoverkehr um- und ausgebaut. Neben klimatischen und gesundheitlichen Belastungen mindert diese Gestaltung auch die Aufenthaltsqualität in unseren Städten. Die Forschungsprojekte Numic und Numic 2.0 versuchten dies in Chemnitz und gemeinsam mit BürgerInnen zu verändern. Frau Dr. Madlen Günther die die Projekte wissenschaftlich begleitet hat, gab uns zum Abschluss des Numic 2.0 Projektes ein Interview. (Interviewende: Susen Döbelt; TU Chemnitz)

Dr. Madlen Günther ist Mitarbeiterin und Teil der Forschungsgruppe Allgemeine Psychologie und Arbeitspsychologie an der TU Chemnitz unter der Leitung von Prof. Josef F. Krems. Sie forscht seit 2013 zur Nutzerperspektive im Bereich Elektromobilität, Nachhaltigkeit und Beteiligungsprozessen bei städtebaulichen Veränderungen. Seit 2019 leitete sie die wissenschaftliche Begleitung der Forschungsprojekte Numic und Numic 2.0.


Hallo Madlen. Du arbeitest seit 2019 im Rahmen der Forschungsprojekte Numic und Numic 2.0 daran die Chemnitzer Bürgerinnen und Bürger bei der Veränderung ihrer Stadt einzubinden. Um welche Veränderungen geht es da genau? Und was hat sich in den letzten Jahren durch eure Projekte in Chemnitz getan?

Hallo Susen, vielen Dank für die Einladung zum Interview. Mit NUMIC - was für „Neues urbanes Mobilitätsbewusstsein in Chemnitz“ steht - haben wir untersucht, inwiefern städtebauliche Veränderungen zu einem nachhaltigen Mobilitätsverhalten beitragen können – vordergründig zu mehr Rad- und Fußmobilität. Dazu ist in Chemnitz eine Modellroute entstanden, an der zahlreiche Maßnahmen umgesetzt wurden: ein neuer Rad- und Fußweg, Maßnahmen zur besseren Straßenquerung, Beschilderungen, Informationstafeln und Markierungen sowie 2 Parklets und eine Fahrradservice-Station. Meine Favoriten sind die bunten Sitzbänke und die vielen Aufwertungen durch Haltegriffe, Fahrradbügel und Bepflanzungen. Im Vergleich zu großen Infrastrukturprojekten waren die Maßnahmen überschaubar und dadurch auch relativ kostengünstig. Das Besondere an NUMIC war, dass die Bürgerinnen und Bürger von Beginn an mitbestimmen konnten, welche Maßnahmen wo umgesetzt werden, auch eigene Ideen waren ausdrücklich erwünscht.

Im Nachfolgeprojekt NUMIC 2.0 durften wir einige großangelegte Infrastrukturprojekte in Chemnitz wissenschaftlich begleiten und die Beteiligungen dazu mitgestalten. Dazu gehörte eine Anliegerstraße, in der verkehrswidrige Parkmöglichkeiten aberkannt wurden, sich dafür aber die Verkehrssicherheit erheblich verbesserte. Es folgte die Begleitung der Umgestaltung des Konkordiaparkes und die Einführung eines neuen Straßenbahnprojektes sowie zwei Kinderbeteiligungen zur Verkehrsbildung.

Welche Erfahrungen hast du mit den Veränderungsprozessen in der Stadt Chemnitz gemacht? Was lief gut, was weniger, was ganz anders als gedacht?

Die Zusammenarbeit zwischen kommunaler Verwaltung und Wissenschaft unter starker Involvierung der Bevölkerung hat uns sehr viel Spaß gemacht. Wir haben viel Neues gelernt (darunter auch super viele ulkige Bezeichnungen wie „straßenbündiger Bahnkörper“ und „Lichtsignalanlage“). Die Mitarbeitenden der Stadt sind sehr engagiert und möchten echt was erreichen. Nur leider sieht der gesetzliche Rahmen viel weniger Handlungsspielraum vor, als wir gern ausgeschöpft hätten. Einige geplante Umgestaltungen konnten daher auch nach langem Ringen nicht realisiert werden. Zudem dauern die verwaltungsinternen Prozesse grundsätzlich sehr lange. Umso beeindruckender ist es, dass die Stadtverwaltung Chemnitz innerhalb eines 3-jährigen Forschungsprojekt so viele Maßnahmen umsetzten konnte, für die locker der doppelte Zeitumfang normal gewesen wäre. 

Welche BürgerInnen und Bürger beteiligen sich aktiv an den Veränderungen und welche (wahrscheinlich) nicht?

Diese Frage hat uns in NUMIC auch sehr bewegt! So sehr, dass wir ihr in dem Nachfolgeprojekt NUMIC 2.0 intensiver auf den Grund gegangen sind, weil wir am Ende von NUMIC keine gute Antwort (vor allem auf Teil 2 der Frage) geben konnten. Im Rahmen der sehr unterschiedlichen Beteiligungen und Veranstaltungen fiel recht schnell auf, dass wir größtenteils immer die gleichen Personengruppen erreichten: nachhaltig mobile oder zumindest interessierte, überdurchschnittlich hoch gebildete und/oder bereits engagierte Personen mittleren Alters. Junge und ältere Menschen bringen sich seltener ein. Dabei sind gerade Kinder und Jugendliche als zukünftige Nutzende der Projektverwirklichungen keineswegs zu vernachlässigen. Während es hier spezielle Formate und Informationsdarbietungen braucht, sind bei älteren Menschen, durch z.B. Mobilitätseinschränkungen, fehlendes Interesse und mangelnde technische Voraussetzungen, andere Herausforderungen zu berücksichtigen. Weiterhin fehlen oftmals Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit geringem Bildungsniveau, die z.B. Behördensprache oft nicht ausreichend verstehen. Auch pflegende Angehörige und Eltern oder andere Familienangehörige, die Care-Arbeit leisten sind in Beteiligungen kaum vertreten.

Welchen Effekt hat deiner Meinung nach eine divers zusammengesetzte Personengruppe die sich an Veränderungsprozessen beteiligt?

Dies stellt einen immensen Gewinn dar – für den gesamten Prozess, aber auch für das Ergebnis der Beteiligung. Wenn ein breiter Querschnitt der Gesamtbevölkerung bei Bürgerbeteiligungen involviert ist, dann steigert das die Legitimität der Planungsprojekte und garantiert womöglich ein breiteres Vertrauen in demokratische Prozesse. Deshalb sehen wir das ebenso ganz grundlegend als eine Maßnahme zur Demokratiebildung. Auch im Umkehrschluss kann durch das Bereitstellen einer Möglichkeit zum Mitbestimmen vorangehende und nachfolgende Proteste reduziert werden. Dies konnten wir direkt bei der Beteiligung auf der Anliegerstraße sehen, in der einige Parkplätze zu Gunsten der Verkehrssicherheit gewichen sind. Eine Vielfalt von Meinungen ist zentral, um eine gerechtere Verteilung von Ressourcen zu ermöglichen und hilft dabei, soziale Spannungen, Unzufriedenheit sowie Misstrauen und damit politische Instabilität zu vermeiden.

Gibt es Erkenntnisse aus deinen Projekten, die man von städtischen Veränderungsprozessen evtl. auf Unternehmen übertragen kann? Wenn ja welche?

Das würde ich so unterstreichen. Für die Ausgestaltung von Beteiligungsprozessen hat sich gezeigt, dass die Transparenz über (alle) Projektinhalte essenziell ist, um Vertrauen zu schaffen und das Vorgehen nachvollziehbar zu machen. Betroffene und Interessierte sollten dabei frühzeitig – idealerweise schon in ersten Planungsphasen – informiert werden. Die Informationen sollten über vielfältige Kanäle zugänglich gemacht werden und die Medienpräferenzen der Zielgruppen berücksichtigen. Eine inklusive Beteiligung, die möglichst alle Personengruppen einbezieht und barrierefrei gestaltet ist, stärkt die Teilhabe und letztendlich die Zufriedenheit. Mit der Evaluation der unterschiedlichen Veranstaltungen zeigte sich, dass ein zentraler Aspekt erfolgreicher Bürgerbeteiligung die Schaffung von strukturierten Möglichkeiten für Fragen und Austausch darstellt. Dies ist essenziell für die aktive Einbindung und Akzeptanz der Beteiligten. Ferner unterstützen klare Hinweise zu Einspruchsmöglichkeiten Bürger:innen dabei, ihre Perspektiven wirksam einzubringen. Zudem sollten Bürger:innen transparent über die typischerweise langwierigen Verwaltungsprozesse sowie über den vorgesehenen Zeitrahmen des Projekts informiert werden, um realistische Erwartungen hinsichtlich der Umsetzung zu fördern. Die erprobten analogen und digitalen Visualisierungs- und Unterstützungsmethoden wurden positiv bewertet und stellten dabei einen großen Mehrwehrt dar, komplexe Prozesse verständlich zu vermitteln.

Das Projekt Numic 2.0 endet im Mai 2025 mitten im Kulturhauptstadtjahr in Chemnitz. Wie geht es dann weiter mit der Bürgerbeteiligung in Chemnitz und deiner Forschung dazu?

Wir blicken mit großer Freude auf die vielfältigen Veranstaltungen und Formate im Rahmen des Kulturhauptstadtjahrs. Unsere Ergebnisse und die abgeleiteten Empfehlungen, die wir übrigens noch in einem öffentlichen und kostenfreien Handbuch im Sommer 2025 veröffentlichen, werden genutzt um die Bürgerbeteiligungsprozesse zu optimieren und zu erweitern

Ein Nachfolgeprojekt ist aktuell leider nicht geplant, da es im Moment keine passenden Förderrichtlinien in diesem Bereich gibt. Als Uni sind wir maßgeblich auf die Forschungsschwerpunkte der neuen Bundesregierung angewiesen. Es bleibt also spannend und unser Interesse für dieses Forschungsfeld ungebrochen. Als ein kleiner Trost bleibt uns dieses Jahr aber noch, dass uns die Auswertung der Daten und weitere Publikationen noch beschäftigen werden.

Mehr Informationen zu den beiden Projekten gibt es auf der Webseite der Stadt Chemnitz unter:

https://www.chemnitz.de/de/unsere-stadt/verkehr/numic.

 

Für tiefergehende Einblicke in die Forschungsarbeiten bitte in den folgenden (deutschsprachigen) Medienbeiträgen nachlesen bzw. reinhören und -sehen:

26.05.25

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